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Einleitung:
Wenige Leute werden so unterschiedlich beurteilt wie KLAUS SCHULZE,
TANGERINE DREAM, KRAFTWERK, MIKE OLDFIELD,
STOCKHAUSEN und HERBIE HANCOCK, um nur einige zu nennen. Aber
alle haben Sie eins gemeinsam: Ihre Musik fließt aus Synthesizern (wirklich?), und die
Töne und Klangbilder, die sie produzieren, haben nur selten etwas mit den
überlieferten Tonlehren zu tun. Wenn es auch gelingt, den einen oder anderen
Musiker mitsamt seinen neuen Tönen in ein verbales Schublädchen zu stecken.
Stockhausen in die Schublade "experimentelle elektronische Musik", Herbie
Hancock unter "Synthi-Jazz" so muß doch für die Mehrzahl der wirklich
treffende Begriff erst noch gefunden werden. Zwar werden die Vergleiche
immer hinken, denn "es gibt nichts Tödlicheres, als Musik mit Worten zu
umschreiben" (Hartwig Biereichel, Metronome), aber solange die
geschriebenen und gedruckten Worte wesentlicher Bestandteil unserer
Kommunikation sind, müssen Versuche gemacht werden, auch wenn sicher ist,
daß es kein vollgültiges Resultat geben kann.
So reichen die Attribute und Adjektive zu Klaus Schulze und seiner Musik von
"einfach schön, Sphärenmusik, Seins-Impressionen, Klangmalerei,
Emotionsbilder" bis zu "Rumgefrickele am Synthesizer". Aber nichts (oder
alles) ist wahr. Die Wahrheit liegt meines Erachtens wie so oft dazwischen.
Der größte Vorwurf, und sicherlich auch der unberechtigste jedoch wäre:
Diese Leute sind doch einfach gar keine Musiker! An dieser Stelle könnte man
nun Argumente und Gegenargumente für die eine oder andere Aussage ins
Uferlose wachsen lassen, ohne zu einem überzeugenden Ergebnis zu kommen.
Aber wenn man nicht versucht, die eigene Meinung oder den eigenen
Geschmack zum Credo der Allgemeinheit machen zu wollen, dann sollte es
möglich sein, zu akzeptieren, was Musik seit Urzeiten ist: Ein akustisches
Erlebnis.
Blicken wir zurück in die Geschichte, muß man die Toleranz der alten
Reiseschriftsteller bewundern. Sie, die schon damals mit völlig Neuem
konfrontiert wurden, berichteten vielleicht von eigenartigen Tönen voll
seltsamen Reizes, oder sie argumentierten mit: es klang wie Musik in meinen
Ohren; aber die heute scheinbar Mode gewordene Klassifizierung: das ist
Musik, und dies ist keine Musik, ging ihnen vollkommen ab. Diese
unberechtigten Abgrenzungen wurden erst durch die Gesellschafts- und
Musiktheoretiker der Neuzeit zum Leben erweckt. Berechtigung hat meiner
Meinung nach die Aussage, daß einem etwas gefällt oder mißfällt. Darüber
hinaus sind alle Argumente mit einem gesunden Zweifel zu betrachten. So wie
es uninteressant für den Leser ist, ob ein Buch mit der Hand, mit der
Schreibmaschine oder aufs Tonband gesprochen wurde, so falsch ist es zu
sagen: Ja, wenn diese Musik auf dem Klavier, der Trommel oder auf
irgendeinem anderen Instrument gespielt worden wäre, würde es Musik sein;
denn solange - simpel gesagt - die Musik nur eine Zuordnung von Tönen
zueinander ist, solange ist es für das Produkt, für die Musik, unwichtig, woher
die Töne kommen. Will man aber wissen, mit welchen Instrumenten diese oder
jene Musik gemacht wurde, dann sollte man diese Frage ganz wertfrei stellen.
Im ersten Teil meines Interviews mit Klaus Schulze versuche ich auch deshalb
nur, seine instrumentelle "Ausrüstung" vorzustellen. Viele Fragen und
Vorurteile werden dabei sicherlich ein anderes Gesicht bekommen, denn
Synthis sind keine Dinger, die alles alleine machen, und bei denen man nur
aufs Knöpfchen drücken muß, damit irgendwelche abenteuerlichen
Klangbilder ablaufen.
Frage: Klaus, für denjenigen, der mit staunenden Augen dein elektronisches
Instrumentarium betrachtet, kann es sehr leicht zu folgenden Fragen kommen:
Ist das alles eigentlich unbedingt nötig, genügt nicht auch weniger? Und: wird
hier nur noch reproduzierende Technik miteinander kombiniert und abgerufen,
oder bestimmt der Musiker wirklich noch, was da abläuft?
KLAUS SCHULZE: Um die zweite Frage beantworten zu können, muß
zuerst einmal klar und deutlich herausgestellt werden, was Synthesizer
eigentlich sind, und was mit der Kombination Synthis und Keyboards
eigentlich möglich ist. Ein Synthi ist eigentlich Alles und Nichts. Man kann ihn
ebenso zur Stromprüfung einsetzen wie zum Musizieren. Im Studio würde nur
ein Synthi genügen, weil es doch durch die Mehrspurtechnik möglich ist,
immer wieder neue Dinge miteinander zu addieren, und außerdem bietet ein
großer Synthi ein unbegrenztes Spektrum an allen möglichen Tönen. Mit dem
großen Moog kann man im Studio alles machen, es gibt keine denkbaren
Möglichkeiten, die man nicht abrufen könnte. Da ich aber live auftrete, kann
ich nicht mit einem Synthi fünf verschiedene Dinge gleichzeitig machen. Je
nach Bedarf und Anforderung benutze ich deshalb verschiedene Synthis, je
nach Größe und Möglichkeit. So habe ich z.B. den kleinen ARP Odyssey auf
dem ich zumeist die Solostimmen spiele. Umgesetzt heißt das, den Odyssee
setze ich für Solostimmen wie Gitarre, Trompete oder ähnliches ein. Ich
benutze ihn deshalb, weil er relativ einfach zu spielen ist. Er ist sehr schnell zu
verstellen, man kann Filter ein und ausblenden ohne lange einstellen zu
müssen.
Dann habe ich weiter den Arp 2600, der bei mir mit einem Sequenzer
gekoppelt ist. Eigentlich ist ja ein Sequenzer so etwas wie ein Minicomputer,
mit dem eine Melodie oder ein Rhythmus programmiert werden kann. Dadurch
ist es möglich, ganze Baßläufe zu speichern und abzurufen, also eigentlich gibt
es in diesem Bereich keine Grenzen für den Sequenzer. Der Sequenzer spielt
nun theoretisch das, was du auf den Keyboards spielen würdest. Das geht so
vor sich: Mit Hilfe von Potis werden bestimmte Spannungen programmiert.
Wenn man z.B. auf normalen Keyboards spielt, hat jede Taste eine bestimmte
Spannung, die sie an die Oszillatoren abgibt, und die Oszillatoren bekommen
dann z.B. ein Volt, was vielleicht ein C ist; wenn ich jetzt aber zwei Volt
spiele, erhalte ich das gleiche C, nur eine Oktave höher. Bei Moog und Arp ist
es immer ein Volt pro Oktave, und die Keyboards machen nichts anderes, als
eine bestimmte Spannung abzugeben an die Oszillatoren, und die Oszillatoren
produzieren dann theoretisch den Ton. Ich meine, so gesehen macht ein
Keyboard nichts, es gibt nur Spannung weiter. Und zwar je nach dem, ob ich
eine Harmonie oder eine Melodie spiele.
Mit dem Sequenzer ist es anders. Hier kann ich diese Harmonien oder
Melodien vorher einstellen, und dann habe ich einen bestimmten Oszillator, der
dann die Programme weiterschiebt von Ton zu Ton, so wie man es auch macht,
wenn man mit der Hand abrollt, vom kleinen Finger bis zum Daumen. Die
Geschwindigkeit ist dabei natürlich ebenso steuerbar, wie es auch die
Möglichkeit gibt, rhythmische Versetzungen zu gestalten. Dies geschieht mit
Hilfe spezieller Oszillatoren, die diese Abläufe unterbrechen oder verzögern,
natürlich auch wieder mit Hilfe von elektrischer Spannung. Eigentlich ist ein
Synthesizer ja nichts anderes als ein spannungsgesteuerter Apparat. Wenn du -
wie ich - alleine spielst, ist der Sequenzer von enormem Vorteil, ja eigentlich
ist er gar nicht wegzudenken. Ich habe mir z.B. einen Baßlauf programmiert,
den ich abrufen und dabei doch auf die Keyboards transportieren kann. Das
heißt natürlich nicht, daß ich nun einen Baßlauf eingespielt habe, der auf
dem Basiston C läuft, und daß ich nun den ganzen Tag auf C spielen muß. Ich
kann auf den Keyboards sämtliche Töne drücken, und der Baßlauf wird
danach mit dem gedrückten Basislaut anlaufen. Durch diese Möglichkeiten
habe ich theoretisch einen Baß-Spieler hinter mir, der absolut zuverlässig ist,
und dessen Töne ich verändern kann. Dafür hat der Synthi noch einige
spezielle Filter.
Mit dem Envelope, das ist ein Hüllkurvengenerator, kann ich bestimmen, ob
ein Ton sehr kurz und akzentuiert ist, oder ob er ausschwingend sein soll.
Außerdem lassen sich Töne wie mit einem Schwellpedal abrufen. Durch diese
Konstellation habe ich als Solomusiker natürlich nun erst einmal einen
Background, in dem etwas geschieht, in dem ich eine musikalische Bewegung
habe, von der ich ausgehen kann.
Außerdem benutze ich den Arp 2600 noch für die Einspielung bestimmter
Soundeffekte. Durch den wirklich ausgezeichneten Ringmudulator kann man
schon einiges machen. Wenn ich den Sequenzer stoppe, bleibt er auf einem
Ton stehen, und ich kann mit den Keyboards weiterspielen. Ich bevorzuge
jedoch dann Einstellungen des Synthesizers, die es mir gestatten, hohe
Untertöne wie Glocken o.ä. in den Sound zu integrieren. Tonale Sachen spiele
ich auf dem 2600 kaum.
Den EMS Synthi setze ich eigentlich nur für typische Effekte ein wie Wasser,
Wind, Gezwitscher und Donner, kurz alles, was ich zur Thematik der Stücke
benötige. Dadurch kann ich ganz bestimmte Situationen und Assoziationen
abrufen, ich kann Übergänge schaffen und außerdem mit Hilfe von
Ringmodulationen noch ganz seltsame Dinge einspielen, wie z.B.
Frauenstimmen oder ähnliches. Übrigens, mit dem EMS habe ich damals
angefangen.
Bevor ich zum großen Moog komme, will ich noch Preset-Keyboards wie das
Farfisa Syntorchestra ewähnen, mit denen ich Harmonien spiele, die den
Hintergrund für die Sequenzverläufe bilden. Mit diesen Dingern kann man
eigentlich nicht allzuviel machen. Man hat zwar einige Kippschalter, mit denen
man die Tonlage verändern kann, z.B. von Flöte zu Trompete oder so; es gibt
auch einige geringe Filtermöglichkeiten, aber damit ist man schon ziemlich am
Ende. Mit einem Synthi hingegen kann man alles oder auch nichts machen, mit
den Preset-Keyboards aber kann man nur so etwas wie Harmonien spielen und
dabei die Tonlage etwas verändern. Auf Timewind findet man sehr gute
Beispiele, wie ich diese beiden Seiten zusammenführe.
Um es noch einmal klar zu sagen, um meinen harmonischen Ambitionen
nachzugehen habe ich zwei "Syntorchestras", und die große Orgel
"Professionell Duo", denn sie ist ja doch von ihrer ganzen Anlage her immer
noch ein grundlegendes Instrument, auch wenn ich derzeit immer weniger
darauf spiele. Für die Bläsersachen habe ich dann noch den "Crumar
Brassman". Alle zusammen laufen sie in einen eigens für mich gebauten
Mixer, den ich bei mir auf der Bühne habe. So kann ich alles selber aussteuern
und abrufen, bzw. einspielen. Durch diesen Einsatz wird der Mixer für mich
zum Musikinstrument und deshalb habe ich auch sehr gute Filter einbauen
lassen. Außerdem habe ich die Möglichkeit, am Mixer noch einmal sehr genau
die Höhen und Bäße anzuheben. Zusätzlich habe ich drei Einschleifwege und
spezielle Monitorausgänge. Dadurch kann ich Echo, Hall und Phaser ganz
differenziert einschleifen und dabei genau akzentuierte Soundveränderungen
erzielen.
Echogerät ist bei mir eine Dolby-Revox mit regelbarer Geschwindigkeit und
Digitalanzeige. Dadurch ist gewährleistet, daß ich die erforderlichen
Geschwindigkeiten exakt wiederfinden und auch ganz genau steuern kann. Mit
anderen Produkten wie Binson, Copycat, Dynacord, Roland, H & H, habe ich
immer ein für mich zu starkes Rauschen akzeptieren müssen. Zudem arbeiten
diese Geräte mit Platten, die sich sehr schnell abnutzen, oder mit Bändern, die
an den Klebestellen immer ein Holpern in den Sound bringen. Auch die
Möglichkeiten, Vor- oder Hinterbandverzögerungen durchzufahren, sind sehr
stark beschränkt. Zwar hat Binson diese Problematik schon einigermaßen
gelöst, aber irgendwo klingen diese Dinger noch immer sehr matschig. Die
Lösung mit der Revox ist natürlich nichts für Rockleute, denn bei dieser Art
von Musik kommt die Revox sehr schnell aus dem Rhythmus - bedingt durch
ihre langen Bandwege. Für Musik aber, wie ich sie mache, eignet sich dieses
System vorzüglich. Mit der Revox nehme ich das Echo "hinterband" ab und
das Originalsignal "vorband". Normalerweise laufen Echogeräte parallel, und
das Original ist gleichzeitig schon verhallt oder verechot. Dadurch, daß ich
nun das Echo hinter Band, das Original aber vor Band abnehme, kann ich einen
sogenannten Ping-Pong-Effekt erzielen, denn wenn das Band langsam läuft,
wird der Zeitraum zwischen den beiden Signalen (hin zum Aufnahme-Kopf,
und zurück vom Wiedergabe-Kopf) verlängert. Dieser Ablauf ist durch die
steuerbare Bandgeschwindigkeit sehr exakt einzusetzen. So gebrauche ich auf
der Bühne normalerweise ein Echo von etwa 8 cm pro Sekunde; dabei habe ich
jedoch die Möglichkeit, bis auf 1 cm pro Sekunde herunterzugehen.
Der Phaser ist ebenfalls eigens für mich hergerichtet. Schulte aus Berlin, (keine
Verwandschaft) von dem ich das Ding habe, hat es für mich mit der doppelten
Phasenlänge ausgerüstet, aber eigentlich kann das auch jeder selbst machen,
denn mit den vorhandenen Potis kann man schon sehr leicht durch ein bißchen
Umstellen zu langen Bögen kommen.
Für den Hall benutze ich im Studio das BX 20 von AKG, während ich auf der
Bühne mit dem transportablen BX 15 arbeite. Die Filter im Mixer brauche ich
fast nicht einzusetzen, denn die Oszillatoren vom Moog-Synthesizer sind so
stark, daß ich die Filter immer auf "null linear" stehen lassen kann. Nur bei
dem Farfisa-Syntorchestra oder beim Arp-Synthi muß ich schon mal Bässe
vom Pult hinzugeben, damit die Oszillatoren wirklich den sogenannten
Hammer kriegen. Das ist verständlich, wenn man die Preise betrachtet. Ein
Oszillator von Moog kostet ja fast soviel wie zwei Syntorchestras von Farfisa.
Aber alle diese Instrumente haben ihre starken und schwachen Seiten. So hat
der Minimoog für mich nur zwei Dinge, die gut sind, die Oszillatoren und die
Filter, während der Rest vergessen werden kann. Dagegen ist der Arp schon
mit sample & hold, also mit Zufallsgeneratoren und Triggerschaltung
ausgestattet. Einen Minimoog kann man nur sehr schwer mit sich selbst
triggern, weil er nur einen Ausgang hat, den dritten Oszillator. Zwar kann man
damit Filter oder Tonhöhen steuern, aber mehr auch nicht. Beim Arp kann man
dagegen "sample & hold" steuern, man kann alle Oszillatoren vom Keyboard
wegschalten und sie sich selbst steuern lassen. Es sind also reine Sounds
möglich, Rückkopplungssachen können gemacht werden, die Filterresonanz
kann aufgedreht werden, daß es nur noch pfeift. Es sind schon eine Menge
Einstellungen möglich, die mit dem Moog nicht möglich sind. Beliebt ist der
Minimoog meiner Meinung nach bei so vielen Bands nur deshalb, weil er so
leicht zu bedienen ist. Ich meine, das Klangspektrum ist nicht gerade
überwältigend. Ich höre sofort, wenn jemand auf einem Minimoog spielt.
Natürlich gibt es die ausgezeichnete Möglichkeit, Schwungräder oder Vibrato
einzublenden und damit Heuler zu machen so wie Rick Wakeman oder Keith
Emerson; wie ja die Engländer überhaupt sehr gerne heulen. Portamento
scheint geradezu ihr Lieblingssound zu sein. Außerdem braucht man für den
Minimoog überhaupt kein technisches Verständnis, um ihn bedienen zu
können.
Der große Moog ist dagegen etwas ganz anderes. Ich habe ihn jetzt etwa ein
halbes Jahr, und ich glaube, ich brauche noch weitere 10 Jahre, bis ich ihn
wirklich kenne und seine Möglichkeiten zielbewußt einsetzen und abrufen
kann. Gegenwärtig gelingt es mir erst, gewisse Feinheiten aus diesem
elektronischen Universum herauszukristallisieren. Das Ding hat allein 10
Oszillatoren, drei Hüllkurvengeneratoren, drei Voltage-Control-Verstärker,
also spannungsgesteuerte Verstärker, und verschiedene 12-Stufen Fixfilter, so
kann ich aus einem Rauschen eine Männerstimme herausfiltern. Diese Filter
sind übrigens wahnsinnig gut. Für bestimmte Klangvorstellungen kommt es auf
den Millimeter am Einstellrand an, und bei manchen Filtern ist das einfach
nicht möglich. Ich habe z.B. auch die EMS-Filterbank, aber da habe ich für die
Oktavfilter nur 8 Stufen. Mit den 12-stufigen Fixfiltern des Big Moog kann ich
ganz genau die gewünschten Klänge einstellen. Diese Klänge bleiben auch so,
sie lassen sich nicht durch die Keyboards oder andere Oszillatoren verändern
oder beeinflussen. Um aber doch verändern zu können, hat der Big Moog noch
eigene Hochpaß und Tiefpaß, und der Moog-Filterkoppler bringt die beiden
zusammen.
Diese Hochpaß- und Tiefpaßfilter sind spannungsgesteuert, und dabei fängt
es an, interessant zu werden, denn damit ist es möglich, durch die Oszillatoren
die Filter zu verändern oder auch durch die Keyboards. Mit der gedrückten
Taste verändert sich der Filter. Außerdem sind die Filter zu öffnen und zu
schließen, so daß der Wah Wah-Effekt auftritt, nur eben perfektionierter und
sauberer.
Die unzähligen Mix-Möglichkeiten sind aber das wichtigste. So hat jeder der
10 Oszillatoren vier Ausgänge. Dadurch kann ich theoretisch verbinden, was
ich will. Ich kann den einen Oszillator auf jeden beliebigen anderen geben, und
dabei noch über oder in die Filter gehen. Daher kommen auch die großen
Schwierigkeiten, diesen Synthi zu verstehen und darüber zu sprechen. Denn wo
immer Verbindungen der Oszis untereinander oder mit Filtern geschlossen
werden, wie immer die Kombinationen aussehen, es entsteht jeweils ein neuer
Klang, und die Möglichkeiten sind nicht abzählbar. Dabei passiert es auch alten
Hasen und Big Moog-erfahrenen Leuten immer wieder, daß sie selbst erstaunt
sind, weil der plötzlich auftretende Ton, durch eine neue Kombination
herbeigeführt, wieder so neuartig ist, daß man ihn sich rein gedanklich nicht
vorstellen konnte. Diese Sachen passieren immer wieder.
Um den Moog zu spielen, brauchst du gar kein Musiker zu sein, ich meine
natürlich nicht den musikalischen Bereich. Für den Moog genügt es, wenn du
Techniker bist oder zumindest eine gehörige Portion technisches Verständnis
hast. Wenn du aber Musik damit machen willst, dann mußt du beides sein,
Techniker und Musiker.
Damit sind wir auch zugleich beim größten Problem des Synthesizers. Ich
habe doch nun schon einige Erfahrung und manches Konzert hinter mich
gebracht, aber es sind immer noch die gleichen Probleme, die das Moogspiel
so diffizil gestalten. Was beim Synthi-Spielen, überhaupt beim Musikmachen
so schön ist, ist doch, einfach formuliert, das Abfahren auf die Musik; aber die
Synthis lassen so etwas nicht zu. Wenn man mit diesen Dingern arbeitet, dann
mußt du teilweise mit einem Ohr abfahren und mit dem anderen Ohr ganz
genau hinhören, denn alle Klangveränderungen, alle Effekte und
Soundmöglichkeiten, die du abrufst, mußt du ganz rational abrufen. Es sind
oft nur Millimetereinstellungen, also ganz geringe Drehungen an den Knöpfen
der Filter, Oszillatoren und Schieberegler, die verändert werden müssen, und es
ist unmöglich, einfach so aus einer "abgefahrenen" Stimmung heraus voll in die
Einstellknöpfe und Regler zu greifen, denn dann donnert dir plötzlich irgend
ein Sound um die Ohren, der in gar keinem Bezug zu deiner Musik steht. Auf
einen Nenner gebracht bedeutet das, du mußt immer rational und emotional
zugleich sein. Daher ist es einfach unumgänglich, daß ich für Konzerte immer
bestimmte Sachen vorprogrammiert habe. Diese Einspielungen laufen dann ab,
und ich kann dann auf dieser Grundlage voll mit den Keyboards abfahren.
Dazu habe ich immer gewisse Soundcollagen vorprogrammiert, die ich dazu
benutze, die Diskrepanz zwischen Harmonie und Disharmonie aufzuzeigen,
oder auch, einfach zwischen Harmonie und Klang. Ich meine, Schönheit ist nur
möglich im Gegensatz zur Häßlichkeit, und Schwarz wäre nicht denkbar, gäbe
es kein Weiß. Man kann daher nicht ewig Harmonien spielen und dabei
aufzeigen, wie schön Harmonien sind. Ich jedenfalls muß manchmal ganz
aggressive Sounds spielen, um dann wieder einen ganz normalen Moll-Dreiklang zu spielen, der mir dann wie die Herrlichkeit im Paradies vorkommt.
Und das ist nur möglich, weil vorher hörbar war, wohin es auch gehen könnte.
Frage: Bei der wahnsinnigen Vielfalt an möglichen Geräuschen, Klängen und
Effekten, die allein der große Moog offeriert; und wenn man dann noch die
angebotenen Möglichkeiten aus all deinen anderen Instrumenten mit in
Betracht zieht, kannst du dann - oder überhaupt ein menschliches Gehirn - noch
Musik aus diesem technischen Universum gedanklich vorkonstruieren? Ich
meine, ist es noch möglich, diese Vielfalt gedanklich zu erfassen und Musik zu
"schreiben", ohne gleichzeitig zu experimentieren?
Klaus Schulze: So einfach läßt sich deine Frage nicht beantworten. Man muß
vielleicht nach verschiedenen Stadien, in denen sich der Synthispieler befindet,
unterscheiden. Im ersten Stadium, wenn du den Synthi erst kennenlernst,
kannst du sehr leicht dahin abrutschen, daß du alles gut findest, was der Synthi
macht. Das sieht dann so aus: Du stellst irgendeine Sequenz ein, und das was
rauskommt, ist klanglich so schön, daß du voll ausflippst. Diesen Zustand gilt
es sehr schnell zu überwinden, denn sonst gerät man leicht in eine Situation, in
der man, einfach gesagt, davon abhängig wird, daß der Synti einem schöne
Sachen verspielt, also nicht du den Synthi kontrollierst, sondern der Synthi
dich! Wenn man aber konsequent weiterarbeitet, wenn man wirklich rational
versucht, den Synthi zu entdecken, dann überwindet man doch schließlich die
Faszination des reinen Klanges, obwohl die Gefahr des
"In-den-Sound-Versackens" immer noch gegeben ist. Durch dieses rationale
Abtasten der Möglichkeiten werden der Erfahrungsbereiche, das Wissen um
die Möglichkeiten immer größer, und so wechselt man fast unbemerkt in ein
Stadium über, in dem es zuerst langsam, aber doch immer besser werdend,
möglich wird, sich Soundgebilde, ja ganze Kompositionseinheiten geistig
vorzustellen.
Grundbedingung beim Synthi, wie es bei jeder Musik sein sollte, ist jedoch,
daß man sich selber darüber Klarheit verschafft, was man eigentlich will. Zur
Zeit gibt es etwa 10 Leute in der ganzen Welt, die mit wirklich großen
Synthi-Einheiten spielen, und alle gehen sie verschiedene Wege. Sie fliegen
auseinander in Richtungen, die vielleicht in musikalische Gegenden führen, die
heute noch gar nicht denkbar erscheinen.
Die Gefahr ist sehr groß, daß sich der Musiker, der sich eines solchen
technischen Instrumentariums bedient, in Gefilde begibt, wohin ihm niemand
nachzufolgen versteht. Die Zuhörer kennen dann vielleicht noch den
Minimoog; ich meine, wenn da etwas zwitschert, dann wissen sie noch, woher
es kommt, aber wenn dort oben auf der Bühne einer sitzt, der auf einer
Trommel klopft, und die Leute hören dann aus den Boxen komplette Melodien
oder Glockengeläut oder was immer, dann wird es sehr schnell nicht mehr
erfassbar. Dieser seltsame Freiraum, in dem es möglich ist, völlig auf die
eigenen Ideen abzufahren oder aber zu versuchen, die Mittel so einzusetzen,
daß man den Hörern noch etwas sagt, diesen Freiraum gilt es ganz klar
auszuloten. Heute ist es bei mir so, daß ich bestimmte Vorstellungen habe, wie
und was ich als Endresultat, als fertige Musik haben möchte.
Nehmen wir mal an, ich will einen Glockenton aufbauen. Ich weiß aus der
Erfahrung, daß ringmodulierte Sinustöne die reinsten Glockentöne herstellen,
und mit den Filtern kann ich nochmal weiche oder harte Nuancen einstellen.
Nun passiert es aber auf dem Weg dahin - und das passiert eigentlich
permanent - daß etwas völlig anderes entsteht. Zwar kommst du ganz sicher zu
den Glockentönen, die du erzielen willst, aber auf dem Weg dahin entstehen
einfach Klänge, die dich durch ihre Schönheit gefangennehmen. Also gehst du
diesen (neuen) Weg weiter, und plötzlich kommst du in Spliären, von denen du
dir vorher kein Bild machen könntest. Plötzlich klingt z.B. ein Männerchor im
Hintergrund der Glocke. Nun gilt es, genau abzuwiegen, ob das erzielte
Ergebnis den vorherigem Vorstellungen entspricht, verstärkt es die gewünschte
Aussage? ...oder aber kehrt sie die Aussage ins Gegenteil?
So gesehen ist die Synthi-Musik natürlich eine Experimentiermusik. Du kannst
nichts üben, es ist alles da. Nur wo es ist, wie und in welcher Form und
klanglichen Farbe es herauskommt, das muß gesteuert werden. Durch die
Bedingungen, die der Synthi an den Musiker stellt, wird er zu einem
Gesprächspartner des Musikers. Es ist wie in einem immer wiederkehrenden
Kreislauf. Du gibst dem Synthi deine Idee, du bekommst ein Resultat zurück
und mußt nun abklären, wieweit es zutrifft, wie weit muß ich es vielleicht
weiter verändern. Mit dem Ergebnis dieser Überlegungen steuerst du nun den
Synthi, wobei du erneut Ergebnisse erzielst, die du, wie zuvor, kritisch auf
deine gewünschte Musik hin bewerten mußt. Und so geht es weiter und weiter.
Sehr viele Versuche laufen dabei ins Leere, weil man bei den Synthis immer
suchen muß, und nicht jeder Weg direkt dorthin führt, wo man die gesuchten
Klänge findet. Hinzu kommt, daß der Synthi ein sehr persönliches Instrument
ist. Die persönliche Klangästhetik ist dabei wohl der dominierende Faktor. Ich
würde mir z.B. niemals einen Trompetenton suchen, da ich Blasinstrumente
nicht leiden kann, und ein anderer würde sich vielleicht niemals einen
Glockenton suchen, weil er sowas nicht mag. So ist man durch die eigene
Klangvorstellung schon auf einen bestimmten Weg fixiert. Dies hat jedoch
keine Nachteile. Durch die unzähligen Klangmöglichkeiten - auch innerhalb
bestimmter Soundvorstellungen - werden der eigenen Kreativität keinerlei
Grenzen gesetzt, im Gegenteil: der Musiker ist dadurch sogar in der Lage,
gewünschte Aussagen so zu gestalten, daß ihm Klänge, die er von sich aus
nicht mag, nicht hinderlich werden können. Hinzu kommt, der Synthi-Musiker
ist nicht davon abhängig, daß andere Musiker seine eigenen Ideen
interpretieren.
Frage: Nun, das wird vielleicht irgendwie theoretisch stimmen, aber ich glaube
nicht, daß ein Synthi-Musiker wirklich in der Lage ist, Gitarren oder
Schlagzeug mit der gleichen Aussage-Intensität und in der möglichen
Nuancierung zu bringen, wie es gute Gitarristen und Schlagzeuger vermögen.
Du spielst doch auch seit einiger Zeit, seit deinem letzten Album Moondawn,
mit Harald Grosskopf am Schlagzeug zusammen. Ist das nicht schon ein
Zeichen dafür, daß auch ein Synthi-Musiker die musikalisch bedingte Hilfe
anderer Musiker benötigt?
Klaus Schulze: Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Wenn ich eine
Gitarre oder eine Flöte, oder was immer auch spielen will, stelle ich einfach
den Klang am Synthi ein und spiele dann die entsprechenden Noten auf den
Keyboards. So ist theoretisch jedes geforderte Signal erstellbar. Die Grenzen
der Synthi-Musik liegen ganz woanders. Weil der Synthispieler ein
Multi-Instrumentalist ist, kann er im Studio durch die zeitlich nachgeschalteten
Aufnahmen des "Overdubbings" alle Instrumente so spielen, wie er sie sich
vorstellt.
Bei Konzerten, wo jedoch alle Instrumente zur gleichen Zeit so ablaufen sollen,
wie sie von der Musik vorgeschrieben sind, ist das unmöglich, wenn man nicht
auf ein nahezu vollständig vorprogrammiertes Stück zurückgreifen will. Man
kann zwar schon sehr viele Dinge zur gleichen Zeit machen, aber es ist
unmöglich, daß man z.B. auf den Keyboards die Solostimme spielt und dabei
gleichzeitig erst auf der Moogtrommel den entsprechenden Basisrhythmus
sucht. Den braucht man schon vorprogrammiert, wobei er aber immer
veränderbar bleibt. Dadurch bleibt eine gewisse Lebendigkeit erhalten, man
kann schon sehr schnell den Rhythmus individualisieren, ihn der momentanen
Stimmung anpassen, aber ein wenig bleibt der Rhythmus immer maschinell.
Du kannst zwar diese Rhythmusläufe schneller oder langsamer ablaufen lassen,
aber sie bleiben maschinell. So wie ein guter Schlagzeuger jedoch seinen
Rhythmus verändern kann, ihn lebendig gestalten kann, so ist es mit dem
Synthi nicht möglich. Darin liegt ein Grund, warum ich jetzt mit Harald
(Grosskopf) spiele. Der zweite, und vielleicht wesentlichere Grund, liegt aber
in einer anderen Thematik begründet. Mit meinem gesamten Instrumentarium
ist es mir zwar möglich, unbegrenzt Instrumente und Klänge zu spielen, aber
eins bleibt dabei unmöglich: das Gespräch mit anderen Musikern, die bei den
"normalen" Bands miteinander auf der Bühne stehen. Bisher war es so: Das
einzig mögliche Gespräch auf der Bühne konnte ich mit dem Synthi führen,
wobei ich aber immer Frager und Antworter zugleich bin. Mit Harald ist es
ganz anders. Er korrespondiert sehr gut mit den Elementen des Synthis, und
seine Spielauffassung harmoniert sehr gut mit der meinen. Dadurch wird
unsere Musik lebhafter, und für den Zuhörer und Zuschauer auch viel
durchsichtiger. Das wichtigste aber, es findet ein musikalisches Gespräch statt.
Frage: Diese Aussage könnte nun leicht von den Leuten ins Feld geführt
werden, die immer wieder behaupten, der Synthi sei gar kein Musikinstrument.
Ich höre immer wieder, auch aus Musikerkreisen, die es eigentlich besser
wissen müßten, das, was die Schulzes und Froeses machten, sei doch nur,
"nach 2 Minuten drücken sie den Knopf, nach 3 Minuten und 27 Sekunden
fahren sie den Schieber hoch" und so weiter und so weiter. Ich glaube, durch
die preislich bedingte Extravaganz und durch die technische Kompliziertheit
dieser Geräte wird sich auch in naher Zukunft dieser verbale Allgemeinplatz
nicht vom Tisch wischen lassen. Mit welchen Argumenten würdest du diesen
Vorwürfen begegnen?
Klaus Schulze: Für mich ist die Argumentation, ein Synthi sei eine Maschine
und deshalb kein menschliches Instrument, einfach Schwachsinn. Zuerst einmal
gibt es, was die Materialien und ihre Verarbeitung angeht, doch keine
grundsätzlichen Unterschiede. Beim Synthi werden, wie bei der Violine, auch
nur Materialien verwendet, die der Erde entstammen. Quarze, Kupfer und
Kristalle sind genau so natürlich wie Holz, Saiten und Bogen der Violine.
Darüber hinaus hat auch schon Stradivari mit vielen Mitteln und Tricks
gearbeitet, um seinen Instrumenten ganz spezifische Soundeigenschaften mit
auf den Weg zu geben. Damals wurde schon mit Säuren, Temperaturen und
Lackierungen modifiziert, und wenn ich auf die gegenwärtige Szenerie der
Gitarristen blicke, dann sehe ich auch überall den Einsatz von Effektgeräten
und Verstärkerleistungen, die mit dem eigentlichen Gitarrenspiel nur sehr
wenig zu tun haben. Würde man den Vorwurf wirklich ernst nehmen, dann
müßte man auch sagen, nur die klassische Gitarre ist ein Musikinstrument.
Von daher ist also die Argumentation gegen den Synthi wirklich nichts als
reiner Schwachsinn. Ich meine, eine Gitarre oder eine Violine wächst doch
auch nicht auf dem Baum, und so wie diese Instrumente nicht von sich aus
Musik machen, so kann es der Synthi auch nicht. Grundsätzlich muß bei
beiden Instrumenten, Violine und Synthi, der Impuls vom Musiker ausgehen.
Es ist dabei zweitrangig, ob ich nun mit dem Bogen über die Saiten streiche
oder mit den Keyboards den Impuls für eine Tonerzeugung gebe. In beiden
Fällen muß ich sehr genau dosieren, damit die Töne aus dem Instrument
kommen, wie ich sie mir vorstelle. Es gibt in der Systematik also keine
Unterschiede. Die einzigen Unterschiede liegen in der Handhabung und in der
Technik. Während bei der Gitarre durch Zupfen oder Beugen der Saiten ein
Ton entsteht, man bei der Violine durch die Reibung und den Druck des
Bogens auf den Saiten Töne hervorlockt, gibt man bei den Synthis durch das
Niederdrücken einer Keyboardtaste oder durch den Anschlag auf der
Moog-Trommel den Ton ein.
Frage: Aber es gibt doch noch weitergehende Unterschiede. Wenn ich eine
Gitarre spiele, dann weiß ich immer ganz bestimmt, welchen Ton ich wie und
wo erzeuge. Beim Synthi ist es doch etwas anders. Einmal kommt man nur
selten direkt dahin, wohin man möchte, und zum anderen besitzt der Synthi in
sich schon die Dinge, mit denen man Töne und Klänge verändern kann. Ein
Wah-Wah beim Synthi ist nicht so klar vom Instrument abzugrenzen, ich meine
visuell, wie beim Synthi. Der Weg des Synthi ist komplizierter und nicht so
durchschaubar, und durch die Zwischenresultate, die sound-mäßig auf so
einem Weg auftreten, wird sehr leicht die ursprüngliche Richtung verändert.
Nehmen wir ein Beispiel. Der Gitarrist, der auf der Bühne steht und aggressiv
und wild spielen will, kann das ohne Einwände oder Grenzen von
instrumenteller Seite tun; daneben bleibt sein ganzes Tun für die Zuhörer klar
erkennbar. Dagegen - will der Synthi-Musiker Gleiches hervorrufen, so weiß
er zwar auch, wie und wo die Klänge liegen, die er dafür benötigt, aber auf
dem Weg dahin kann der Synthi ihm aber Impulse geben, die ihn dazu
verleiten, seine vorherige Richtung zu verändern. Dieser Vorgang ist ein
intimer Vorgang zwischen Synthi und Musiker, und er ist weder technisch noch
optisch für die Zuhörer erkennbar. Vielleicht sind deshalb so viele Leute
geneigt, den Synthi als ein "Lügeninstrument" abzutun.
Klaus Schulze: Natürlich kann ein Synthi sehr leicht zum lügen verführen,
wenn ich mal deinen Ausdruck gebrauche, aber die Ergebnisse sind dann doch
sowohl für den Musiker wie für den Zuhörer ziemlich frustrierend. Ich meine,
ich will Musik machen. Musik, von der ich schon, bevor ich beginne, ganz
bestimmte Vorstellungen habe. Und wenn man so spielt, wenn man sich
konsequent an die Linie hält, dann ist der Synthi mit Sicherheit das
schwierigste musikalische Instrument. Es ist relativ einfach, einmal abgesehen
von der Theorie und der Technik, mit einem Synthi Klänge zu erzeugen [schon
mal versucht, aus einem Saxophon oder einer Trompete einen Ton zu
bekommen?)
Die Motivation und die Vorstellung des Komponisten sind es, die den
Unterschied machen. Bei der "musique concret" oder bei der sogenannten
"Avantgarde", Stockhausen, Xenakis, Pierre Schäffer, die teilweise
Klangorgien feiern -- wobei es mir nie ganz klar wird (was aber eigentlich
auch nicht wichtig ist), ist der Klang jetzt bewußt gesucht oder haben sie ihn
einfach gefunden und finden ihn nun gut? So etwas ist natürlich relativ einfach
herzustellen.
Schwierig wird es erst dort, wo auch die Bestimmung des Synthis liegt:
nämlich musikalische Freiräume zu öffnen und in ihnen gestaltend zu wirken.
Das heißt, im Freiraum zwischen den bekannten Orgel- und Keyboardklängen
nach neuen Möglichkeiten zu suchen, dabei aber nicht vergessend, daß
Harmonie und Melodik wesentliche Bestandteile der Musik sind. Diese
Grundsätze haben die Avantgarde-Musiker aber teilweise schon längst über
Bord geworfen. Damit sage ich nicht, der Synthi sei in seiner Bestimmung ein
Instrument, um Harmonien zu spielen. Ganz im Gegenteil ist er dazu
konzipiert, Tonwerte und Tonzusammenstellungen zu schaffen, die weit über
das bisher Bekannte hinausgehen. Jedoch, und das ist wesentlich, durch diese
großzügigen Möglichkeiten sollte man sich nicht verpflichtet fühlen, nur das
Extreme zu suchen, sondern man soll, und so arbeite ich auch, diese
grenzenlose Freiheit des Synthis den musikalischen Gesetzen unter- und
zuordnen. Sicherlich ist jeder Ton an sich schon Musik, aber es widerspricht
meiner Klangästhetik, nun einfach willkürlich im Zwiegespräch mit dem
Synthi irgendwelche Aneinanderreihungen von Tönen zu gestalten. | ||||||||||||||||||